Überblick

Es liegt in der Natur historischer Ereignisse begründet, dass es ein nahezu unmögliches Unterfangen ist, eine umfassende, historisch belegbare, exakte Darstellung von der Entstehung und Entwicklung des Quan fa (Ch´üan Fa) bzw. Gong Fu (Kung Fu in Europa und USA) zu zeichnen.

Nahezu alle Informationen dazu wurden von diversen Schulen und Interessengruppen von Generation zu Generation mündlich tradiert. Dabei zwischen Wahrheit, Legende und purer Fiktion zu unterscheiden ist zumeist sehr schwierig, da die auf diese Weise überlieferten Geschichten oftmals bewusst beschönigt, ausgeschmückt und verändert, d.h. gefälscht wurden, um die jeweiligen Stilbegründer/Ahnen (und in Folge sich selbst) in ein besseres Licht zu rücken. Auch heutzutage trifft man auf dieses Phänomen, allerdings unter einem anderen Vorzeichen: Statt Ehre und Ansehen (des jeweiligen Stils einer Schule) treten handfeste finanzielle Interessen in den Vordergrund.

Im folgenden wird zur Romanisation der chinesischen Begriffe die sogenannte Pinyin-Umschrift (PY) verwendet. Sie ist die offizielle Umschrift der chinesischen Hochsprache (Pu Tong Hua). Die ältere, speziell in der englischsprachigen Literatur verwendete Wade-Gilles-Umschrift (WG) wird nur noch bei bereits gut eingeführten Begriffen verwendet: Kung-Fu (WG) entspricht Gong-Fu (PY); Ch´üan Fa (WG) entspricht Quan Fa (PY); Tai Chi Ch´üan (WG) entspricht Taijiquan (PY).

Eine objektive und ausführliche Darstellung der Geschichte des Quan Fa findet man im ersten Band der dreiteiligen Taschenbuchreihe von Chang Dsu Yao [Chang Dsu Yao, Roberto Fassi, Shaolin Kung-Fu 1- Grundlagen der chinesischen Kampfkunst, Falken Verlag, ISBN 3-8068-1363-9].

Geschichte

Im 3. Jahrtausend v. Chr. lebte der legendäre „gelbe Kaiser“ Huang-Ti, der als Stammvater des Chinesischen Volkes bzw. der chinesischen Kultur gilt (Xia-Dynastie von 2205-1766 v. Chr.; Shang-Dyn. von 1766-1122 v. Chr.). In der Zhou-Epoche (1122-221 v. Chr.) findet man erste historischen Erwähnungen spezieller Kampfkünste. Der bekannte Kriegstheoretiker San Tzu lebte in dieser frühen Epoche.

Liu Pang begründete die Han-Dynastie (206 v. Chr.-220 n. Chr.). In dieser Zeit wurden die Fundamente für die kulturelle, politische und wirtschaftliche Struktur Chinas gelegt, wie sie noch bis in den Anfang des letzten Jahrhunderts hinein gültig waren. Die Chinesen bezeichnen sich selbst als „Kinder der Han „; die Han stellen heute die grösste ethnische Gruppe im Vielvölkerstaat China dar. In jener Zeit der Kampfstil „Ch´ang Shou“ (WG: „Lange Hand“), der wohl als direkter Vorläufer des Shaolin Stils „Ch´ang Ch´üan“ („Lange Faust“) betrachtet werden kann.

Im Jahr 220 v. Chr. zerfiel das Reich der Han und die „Epoche der drei Reiche“ (220-280 n. Chr.) begann. Zu dieser Zeit lebte der sagenumwobene Volksheld General Kwan Yü (WG) (Guan Yun), der in der späteren Ming-Dynastie sogar vergöttlicht und als Kriegsgott verehrt wurde. Noch heute wird er, im traditionellen religiösen Volksempfinden, als Nationalheld angesehen. Ihm zu Ehren wird die grosse chinesische Hellebarde, Guan Dao (Schwert des (General) Guan) gennant.

Während der Jin-Dynastie(280-316 n. Chr.) verbreitete sich, aus Indien kommend, der Buddhismus, in ganz China. Das berühmte Shaolin-Kloster (Shao: Jung, Lin: Wald: „Kloster des Jungen Waldes“) wurde wie viele andere buddhistische Klöster und Tempel gegen Ende des 5. Jhd. an den Hängen des Berges Sung (Provinz Honan) in Nordchina errichtet.

Der überlieferung (Legende) nach kam gegen 520 n. Chr. (Epoche der Nördlichen und Südlichen Dynastien: 420-589 n. Chr.) ein indischer Mönch namens Bodhidarma (chin.: Da Mo, jap.: Daruma) in den buddhistischen Shaolin-Tempel und begründete dort den Chan-Buddhismus (jap.: Zen-Buddhismus). Die bis dahin in China bereits existierenden Kampfformen wurden durch den Chan-Buddhismus zu Kunstformen erhoben. Im Chan-Buddhismus werden die (physischen übungen der) Kampfkünste als Mittel/Weg zur geistigen Vervollkommnung betrachtet. Die Atem- und Bewegungstechniken die Bodhidarma den Mönchen lehrte, stammten aus dem indischen Yoga. Ob Bodhidarma als Person wirklich gelebt hat ist so fraglich wie die historische Existenz von Jesus und letztendlich eine unbedeutende Glaubensfrage. Fest steht, dass im 6. Jhd. n. Chr. die Buddhistischen Mönche im Shaolin-Kloster Yoga-übungen praktizierten und sich intensiv mitKampf/Selbstverteidigungstechniken beschäftigten. Zweifellos war es die Abgeschiedenheit und die geordnete Ruhe ihres Lebens als Mönche, die die Entwicklung und Perfektion der Kunst des Kung Fu erst möglich machten. Dank des, durch den Chan-Buddhismus erreichten, psychischen und physischen Niveaus der Mönche, durchlief die Kampfkunst (ohne und mit Waffen) eine bis dahin in der Weltgeschichte unbekannte Evolution.

Der in der Sung-Dynastie (1103-1142 n. Chr.) lebende General Yüeh Fei (Pinyin: Yue Fei) führte die 8 traditionellen Gymnastik-übungen (Ba Duan Jin „8 Brockatstücke“) des Kung Fu bzw. des Qigong (WG: Chi Kung) ein, und wird als Gründer des Adlerstils (Yue Jia Ien Chao: „Adlerklaue der Yue-Schule“) angesehen.

Kublai Khan, der Enkel des Dschingis Khan, vernichtete 1279 vor Kanton die kaiserliche chinesische Flotte. In der Folge eroberten die Mongolen das zerfallende Reich der Sung, Kublai Khan wurde Kaiser von China und gründete die Yuan-Dynastie (1279-1368 n. Chr.). In dieser Epoche entstand vermutlich der bekannteste Innere Stil/Schule (Nei Jia) des Kung Fu, das Tai Chi Ch´üan (PY: Taijiquan). Taiji bedeutet soviel wie „höchster Pol, das ultimative erste Prinzip“. Ch´üan heisst übersetzt „Faust/Faustform“. Taijiquan ist also die „Faustform des höchsten Pols“. Der Begriff Taiji stammt aus dem Taoismus und bezieht sich auf die Einheit und Relation von Yin und Yang, den taoistischen Grundprinzipien des Universums.

Die Mongolen wurden schliesslich gewaltsam vertrieben und Chu Yüan Chang wurde zum „Hung Wu“ („Sohn des Himmels“ Kaiser) ernannt. Damit begann die Epoche der Ming (1368-1644 n. Chr.). Im 16 Jhd. begründeten der Shaolin Mönch Chueh Yuan und ein Mann names Li Sou das Wu Hsing Ch´üan („Faustform der 5 Tiere“). Tiger (Hu), Drache (Lung), Kranich (He), Schlange (She) und Leopard (Pao) formen noch heute die 5 traditionellen Tierstile des Shaolin Quan Fa.

Ebenfalls in der Ming-Dynastie gelangte die Kunst des Shaolin Quan Fa, durch Wandermönche, auf die Insel Okinawa und formte dort den Grundstock für die Entstehung des historisch sehr viel jüngeren japanischen Karate. Kara-Te bedeutet ursprünglich „Chinesische Hand“. Das Zeichen Te steht für Hand und Kara ist die japanische Aussprache für das Ideogramm Tang, welches für die Tang-Dynastie also China steht. Erst später wurde das Schriftzeichen Kara durch ein gleichlautendes Schriftzeichen mit der Bedeutung „leer“ ersetzt. Heutzutage wird also Karate als „(Kunst) der Leeren Hände“ übersetzt.

Der letzte Ming-Kaiser erhängte sich während einer Revolte im Jahr 1640 unserer Zeitrechnung. Die von seinen Gefolgsleuten zur Hilfe gerufenen Stämme aus der Mandschurei, schlugen den Aufstand nieder und besetzten Beijing (WG: Peking). Entgegen ihrer Zusicherung zogen sie sich die Mandschus jedoch nach ihrem militärischen Eingreifen nicht in ihre Heimat zurück. Sie gaben die Macht nicht mehr ab, besetzten ganz China und gründeten die Qing-Dynastie (1644-1911 n. Chr.). Das chinesische Volk stand den fremden Machthabern von Beginn an feindlich gegenüber und leistete Widerstand. Das Shaolin-Kloster war dabei eine Keimzelle der organisierten Resistance. Die Mandschu-Herrscher zerstörten in der Folge das Kloster (Nordchina) und die fliehenden Mönche errichteten einen neuen Shaolin-Tempel in der Provinz Fukien (Südchina). Die gewaltsame Vertreibung der Mönche aus dem nordchinesischen Tempel führte zur Verbreitung ihres Wissens an das gemeine Volk. Das sich bis dahin isoliert in den Klöstern hochentwickelte Ch´üan Fa fand so seinen Weg zu den Menschen in ganz China. Die Anzahl der sich in der Folge entwickelnden, oft recht unterschiedlichen, Stile ist Legion. Gemeinsam tragen aber alle den Samenkeim des klassischen Shaolin Kung Fu aus Nordchina in sich.

Oft werden die verschiedenen Kung Fu-Stile aufgrund ihrer geographischen Verbreitung/Herkunft eingeteilt. Die wichtigste Trennlinie ist dabei der Gelbe Fluss der die Formen in Nördliche und Südliche Stilrichtungen unterteilt. Ein bekanntes chinesisches Sprichwort lautet: „Bei Dui Nan Quan!“, demnach betont der Norden (Bei) meist Bein (Dui)-Techniken, im Süden (Nan) stehen dagegen Techniken mit der Hand/Faust (Quan) im Vordergrund. Die bedeutendsten Stile Südchinas sind Hung Gar („Tiger/Kranich-Stil“), Choi Li Fut, Wing Chun, Drache („Lung Ch´üan“), Weisse Augenbraue, Pak Hok („Weisser Kranich“), südliche Gottesanbetterin („Tang Lang Ch´üan“) und Hou Ch´üan („Affenstil“) zu nennen. Die bekanntesten Stile Nordchinas sind Ch´ang Ch´üan („Lange Faust“), Lo Han Ch´üan („Boxen der Schüler Buddahs“), Ien Chao („Adlerklaue“), Ts´ui Pa Hsien („8 unsterblichen Betrunkenen“) und Nördliche Gottesanbetterin.

Während der Qing-Dynastie entwickelte sich speziell die 3 bekanntesten Inneren Stile Baguazhang (WG: Pa Kua Chang), Xingyiquan (WG: Hsing-i Ch´üan) und Taijiquan (WG: Tai Chi Ch´üan).

Die Qing-Dynastie endete durch die Proklamation der Chinesischen Republik am 01.01.1912.

In Nanchino wurde 1928 das Kuo Shu („(Institut für) Nationale Kunst“) gegründet. Eine Kommission der damals bedeutendsten und renommiertesten Meister unternahm einen wissenschaftlichen Versuch der Bestandsaufnahme der zahlreichen Quan Fa Richtungen in China.

Im Jahr 1937 wurde China durch die Invasion japanischer Truppen in den II. Weltkrieg hineingezogen.

Nach der Machtübernahme der Kommunisten (unter Mao Dse Dung) im Jahr 1949 verliessen viele Quan Fa Meister China und flohen nach Hong Kong und Taiwan, wo sie ihre Künste in grösserer Freiheit praktizieren konnten.

Nach dem Verbot der traditionellen Kampfkünste durch die fehlgeleiteten Ideologen der Kulturrevolution werden in China inzwischen wieder auf breiter Basis Kampfkünste geübt. Jedoch ist das heutige in der Volksrepublik praktizierte Wu Shu („Kunst des Krieges“) nicht mit den traditionellen Wu Shu bzw. Quan Fa zu verwechseln. Das moderne chinesische Wu Shu ist ein künstliches Konstrukt der kommunistischen Machthaber Chinas, der kriegerische Ursprung der Künste, der Kampf/Selbstverteidigung, tritt hinter artistischen/akrobatischen Aspekten zurück. Gemäss der in China herrschenden Ideologie eines vereinheitlichten, kommunistischen, klassenlosen Systems wurden auch die alten, klassischen Kampfkünste vereinheitlicht und in ein, der alles beherrschenden Partei, passendes Schema gepresst.

Traditionelles Kung Fu, so es noch irgendwo existiert, kann leider nur noch in Taiwan bzw. in manchen Schulen in Europa und den USA gefunden werden. Aber auch dort treten klassische, traditionelle Ansprüche zunehmend hinter anderen Interessen zurück. Anders als die Parteideologie in China ist es das Streben nach finanziellen Profit und Reichtum das die alten Ideale und Traditionen verdrängt oder die Schwierigkeit der westlichen Welt sich in die altertümliche östliche Lebensanschauung hineinzuversetzen, so dass man teilweise gezwungen ist Kompromisse einzugehen und einige Traditionen anpzupassen. So findet man heutzutage in der westlichen Welt (auch bei uns) eine Unmenge von Grossmeistern, „Kung Fu Schwarzgurt-Trägern“ bzw. sogar „Dan-Grade“ im Kung Fu. Traditionell gab und gibt es im chinesischen Quan Fa keine Graduierungen, abgesehen von der prinzipiell sinnvollen Unterscheidung zwischen Lehrer und Schüler.

Angesichts der langen Geschichte der Chinesischen Kampfkünste sollte diese Anwandlungen mit grösster Vorsicht betrachtet werden, gewinnen in der Zukunft derart „neue, moderne“ Einstellungen die Oberhand, so wird auch noch der letzte verbliebene Rest des ererbten Wissens der alten Meister verloren gehen.

Wenn man zu den Höhen des Kung Fu aufsteigen und
in dessen Tiefen eindringen will, muss man Qi Gong praktizieren;
Wenn man zu den Höhen des Qi Gong aufsteigen will
und in dessen Tiefen gelangen will, muss man Meditation praktizieren
(Ho Fatt Nam) 

Qi Gong (im Englischen meist „Chi Kung“ geschrieben) ist die Kunst der Energieentwicklung, insbesondere zum Zwecke der Schulung des Geistes, der Gesundheit und der inneren Kraft. Qi oder Chi, die universelle Energie, hält uns nicht nur am Leben und befähigt uns sowohl alltägliche als auch aussergewöhnliche Leistungen zu vollbringen, sondern hält auch Yin/Yang im Mikro-und Makrokosmos in der Waage. Qi Gong ist älter als die Geschichte. Es wurde in alter Zeit nicht nur von den Chinesen, sondern auch von den Völkern anderer grosser Kulturen an unterschiedlichen Orten und Zeiten praktiziert, auch wenn es verschiedene Namen hatte.

So nannten es die Inder Yoga, die Griechen und ägypter nannten es die Kunst der Mysterien, und die Tibeter die Kunst der Weisheit. Alle aber hatten sie ganz ähnliche Zielsetzungen, Praktiken und Philosophien, die letztlich darauf abzielten „den Weg für die Götter frei zu machen“. Für den Hinduisten bedeutet das, durch Yoga Atman und Braman zu vereinigen und sich von der Illusion zu befreien, für den Taoisten die Verschmelzung mit dem Tao, für den Buddhisten den Weg zum Nirvana durch Meditation und für den Christen, durch Gebet die Rückkehr in das Königreich Gottes.

Heilige werden aufmerksam, essen Luft vom Himmel
Und machen den Weg für die Götter frei
( Nei Jing ) 

Ihre Kunst gaben die Meister zu früherer Zeit nur an einige ausgewählte Schüler weiter und so entwickelten sich die Künste unabhängig voneinander. Um die Zeit der Shang-Dynastie (16. Bis 11. Jahrhundert v.Chr.) hatte Qi Gong bereits einen hohen Stand erreicht. Viele der Bewegungsformen ähnelten den typischen Bewegungen von Tieren wie zum Beispiel der Schildkröte, des Kranichs oder des Affen. Diese und andere physische Bewegungen, die der Ausrichtung und Steuerung des inneren Energiestroms dienen, werden als „Dao Yin“ bezeichnet. Wenn also Bewegungen dieser Art ausgeführt werden, dann wird nicht versucht wie die Tiere zu sein, sondern vielmehr bestimmte Eigenschaften zu erwerben, die über menschliche Verhältnisse hinausgehen.

In der Chou-Dynastie (11. Bis 3. Jahrhundert v. Chr.) entstand das berühmte I Ging, das Buch der Wandlungen, welches die Begriffe Yin, Yang und Pakua einführte, die später zu wichtigen Elementen der Qi Gong-Philosophie werden sollten. Die Grundlage der I Ging Divinitionen sind die acht Trigramme. Jedes Kua hat einen Namen, und jenes, welches den Namen Gen trägt, steht für die verschiedenen Körperteile des Menschen und deren Funktion. Durch Meditation über dieses Gen kann die Fähigkeit des Nei Guan (inneres Schauen) oder Nei Jue (innere Reflexion) entwickelt werden. Diese Fähigkeiten führten zur Entwicklung des Cun Xiang, der Gedankenkonzentration im Qi Gong. Cun Xiang und Dao Yin entwickelten sich zu den beiden Hauptrichtungen des Qi Gong.

Die Dichtungen der Tang-Dynastie (7.bis 10 Jahrhundert n.Chr.) beschreiben viele Qi Gong Zustände.

Wenn sich meine Augen zum Meditieren schliessen,
strahlt schwingendes Chi von Innen heraus.
Vibrierende Empfindungen der Freude kommen auf
wie krabbelnde Insekten in leiser überraschung.
Diese Empfindung dringt in jede Zelle ein.
Aus der Mitte beginnt sich die Leere zu blähen.
Ich vergesse mich selbst und werde formlos,
mein Geist und der Kosmos lösen sich im Nichts.
(Po Chu Yi) 

Von der Han Dynastie (Budidharma) bis zur Tang Zeit gewann die Anwendung des Qi Gong auch in den Kampfkünsten an Bedeutung. Im Shaolin Kung fu gab es 72 spezielle Künste, wie „Die Goldene Glocke“ oder „Eiserne Hand“. Zwar nimmt auch hier der Geist (weiche übungen) den höchsten Rang ein, doch ist daneben die Kräftigung und Reinigung des physischen Körpers wichtig (harte übungen). Aus Unkenntnis glauben jedoch Manche, dass (Shaolin)Kung fu nur „hart“ und niemals „weich“ ist, da sie nicht die Geduld oder auch nicht die Möglichkeit haben, zu den höheren Stufen vorzudringen, auf denen Kung fu weitgehend weich und innerlich ist (Tai Chi, Pakua, Hsing Yi).

Wärend spezielle Qi Gong Kraft meist auf der mittleren Stufe der Kung Fu Ausbildung trainiert wird, lernt man allgemeines schon zu Beginn, auch wenn der Schüler dies oft nicht bemerkt. Die „Reiterstellung“ etwa hilft dem Schüler unter anderem, seine Energie in seinem „Bauch“ zu speichern und seine Beine zu stärken. Ebenso lernt der Anfänger bei der Ausführung verschiedener Schläge, Tritte und Techniken explosive Laute auszustossen. Diese helfen Ihm mit ihren Schwingungen seinen Energiestrom zu regeln, sowie verschiedene innere Organe zu massieren und zu kräftigen. Weiterhin lernt er, eine Reihe von Bewegungen so auszuführen, als ob sie eine einzige lange und durchgängige Bewegung wäre (Formen) und diese mit korrekter Atmung zu koordinieren. Er findet heraus, wann er den Atem anhalten, wann er schnell und explosiv ausatmen und wann er den Atem wie einen langen, dünnen Faden langsam entlassen soll, um seine Kampffertigkeiten durch Chi zu steigern. Die einzelnen Qi Gong übungen sind im Grunde sehr einfach, müssen jedoch kontinuierlich geübt werden um Wirkung zu zeigen. Dazu gehört auch die Meditation.

Der aufmerksame Leser hat erkannt, dass man Kung Fu nicht in verschiedene Teile, wie Qi Gong, Hsing Yi, Tai Chi, Techniken oder Formen trennen kann, sondern dass alles ineinander fliesst und dass das eine ohne das anderen nicht existent ist (Yin/Yang). Folglich ist das ständige Training derselben Techniken und Stellungen keine sinnlose Schikane oder Einfallslosigkeit, sondern die notwendige Kontinuität um den Grundbaustein Chi zu erfahren.

Der Wille ist der Befehlshaber des Chi.
Chi ist die Gesamtheit des Körpers und des Universums.
(Meng Tzu)

Das Begriffspaar Yin und Yang ist möglicherweise das am häufigsten benutzte und am häufigsten missverstandene Konzept chinesischer Philosophie. Viele westliche Autoren haben den Eindruck vermittelt, dass für die Chinesen Yin und Yang die beiden Grundelemente sind, aus denen sich das Universum zusammensetzt. Genau das ist falsch. Yin und Yang sind keine absoluten Einheiten; sie sind symbolische Begriffe, und als Symbole können sie unter verschiedenen Umständen verschiedene Bedeutungen haben.

Als Yin und Yang bezeichnet man die beiden grundsätzlichen, aber komplimentären Aspekte aller Dinge im Universum, von konkreten Gegenständen bis zu abstrakten Ideen. Sie sind Relationsbegriffe und bedingen einander. Nehmen wir ein einfaches Beispiel wie „gross“ und „klein“. Wir nennen einen Elefanten gross, weil wir ihn normalerweise mit kleineren Objekten wie einer Maus oder einem Menschen vergleichen. Wenn wir ihn jedoch mit einem Berg vergleichen, dann ist er sehr klein. Dies funktioniert natürlich auch mit abstrakten Begriffen wie Mut und Feigheit.

In beiden Fällen bezeichnet man den Aspekt „klein“ bzw. „feige“, als Yin, den gegensätzlichen Aspekt als Yang. Könnte man die Begriffe austauschen, so dass man klein als Yang und gross als Yin bezeichnet? Man kann, aber dies würde zu Problemen führen, weil es sich so eingebürgert hat, dass das Negative, Weibliche, Dunkle, Kühle, Nachgebende, Untere, und Innere als Yin und die jeweiligen Komplimentäre als Yang bezeichnet werden. Damit ist allerdings keineswegs eine Abwertung des Weiblichen gemeint.

Erst seit auf Erden ein jeder weiss
Von der Schönheit des Schönen,
Gibt es die Hässlichkeit;
Erst seit ein jeder weiss von der Güte des Guten,
Gibt es das Ungute.
Sein und Nichtsein entspringen einander;
Schwer und Leicht bedingen einander;
Lang und Kurz vermessen einander;
Hoch und Tief erzwingen einander;
Die Stimme fügt sich dem Ton im Chor;
Und ein Danach folgt dem Zuvor.
  (Lao-tse)              

Das Yin – Yang Kreiszeichen

Es zeigt die Teilung des Kosmos in sein negatives und sein positives Element, die nur zusammen ein Ganzes bilden. Aus der Wechselbeziehung des negativen Yin mit dem positiven Yang entstand und besteht alles Existierende. Die runden Flecken Sind die Keime der Veränderungen, die permanent stattfinden – entsprechend dem Gesetz vom Umschlag ins Gegenteil und der periodischen Wiederkehr. Durch diese ständige Veränderung im kosmischen Kräftespiel entsteht das Leben, welches im Gegenzug den Kosmos mit seiner schöpferischen Energie gestaltet.

Im Buch der Wandlungen werden Yin und Yang durch unterbrochene (Yin) und durchgehende (Yang) Linien gekennzeichnet. Die Trigramme um das Kreiszeichen bestehen aus drei parallelen Linien und beschreiben das Entstehen der Dinge aus der Dualität.

Die nachfolgende Darstellung zeigt die Entstehung der acht Trigramme aus dem Absoluten (= das Kreiszeichen). Die beiden obersten Linien stellen die Zweiteilung der Natur in Yin und Yang, auch Himmel und Erde, dar. Die mittlere Reihe gibt die vier Verbindungsmöglichkeiten zwischen Himmel und Erde an, die die vier Jahreszeiten bestimmen.In der untersten Reihe wird schliesslich eine dritte Linie hinzugefügt die den Menschen als Bindeglied zwischen Himmel und Erde symbolisiert.

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Yin Yang
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Winter Herbst Frühling Sommer
Himmel See Feuer Donner Wind Wasser Berg Erde

Dabei ordnet man den 8 Trigrammen die folgenden Eigenschaften zu:

  • Himmel: Entschlossenheit, des Schöpferische, Stärke, Macht, Kraft
  • See: Fröhlichkeit, Offenheit, Freude, Befriedigung, übermass
  • Feuer: Das Erhellende, Klarheit, Intelligenz, Abhängigkeit, Anhaften
  • Donner: Das Erregende, Bewegung, Aktivität, Schock, das Wachsen
  • Wind: Das sanfte Wirken, kleine Anstrengungen, das durchdringende Arbeiten
  • Wasser: Das Geheimnissvolle, das Tiefe, Bedeutsamkeit, Gefahr, Schwierigkeit
  • Berg: Das Stillhalten, Ruhe, Nachsinnen, das Unbewegte, Gelassenheit
  • Erde: Das Nachgeben, das Empfangende, das Antworten, Ergebenheit

Den acht Trigrammen lassen sich schliesslich 64 (8×8) Hexagramme und über diese weitere 4096 (64×64) mögliche Umwandlungen durch Wechselbeziehungen der Hexagramme untereinander bilden. Diese bilden die Grundlage aller absoluten Konstellationen.

Kung Fu ist in seiner Art vergleichbar wie eine Sprache oder die Musik. Während man bei des Musik zuerst die Noten lernt und die einfachen Gesetzmäßigkeiten der Tonleitern, so lernt man im Kung Fu zuerst einige Grundstellungen und wie man Hände und Füße überhaupt bewegt und einsetzt. Bei der Sprache ist das wohl das lernen und schreiben der Buchstaben, auf die die Sprache aufgebaut wird. Später lernt man die Bedeutung von einzelnen Wörtern bzw. man lernt die Kadenzen in den verschiedenen Dur- und Molltonarten. Im Kung Fu entspricht das dem Erlernen der Möglichkeiten mit den Händen und Füßen zu blocken und zu schlagen.

Jetzt sind die Anfänge langsam geschafft und man geht nun über zu erst einfachen, später komplexeren und schwierigeren Melodien und Musikstücken. Auch in der Sprache fängt man nun mit Mustersätzen und einer einfachen, später niveauvolleren Lektüre an. Entsprechend beim Kung Fu kommen nun sich im Schwierigkeitsgrad steigernde Kampftechniken und Bewegungsformen. Dies sind vorgefertigte Übungen, um allmählich ein Gefühl für die Sache zu bekommen. Allerdings braucht das seine Zeit und Geduld. Erst jetzt beginnt man selber einfache Lieder zu schreiben, selber Texte in der anderen Sprache zu verfassen und seinen eigenen Stil zu entwickeln, sofern man standhaft geblieben ist und nicht aufgegeben hat. Es kommt schließlich nichts von alleine, sondern ist mit Arbeit und Fleiß verbunden! Mit der Zeit kann man sich in allen drei Bereichen immer mehr verwirklichen, sich verbessern und tiefer in diese Welt eintauchen.

Nun kann man einfach und relativ simpel komponieren, sehr viel mit den Hauptstufen arbeiten und ein einfach gestricktes, aber sehr wirkungsvolles und gutes Stück machen. Man kann aber auch sehr viel modulieren, unendlich viele Nebenstufen, sowie Sept- und Sextakkorde einbauen und ein technisch perfektes Stück kreieren, was aber meist nur von Könnern und Kennern geschätzt und verstanden wird. Ebenso kann man mit kurzen, einfachen und ebenfalls simpel konstruierten Sätzen weitaus mehr aussagen, als wenn man ein sehr kompliziertes Satzgefüge mit vielen Verzierungen und Verschnörkelungen benutzt, was meistens dazu führt, daß dies letztendlich auch wieder nur von geübten Leuten, die dieser speziellen Art von Sprache mächtig sind, verstanden wird. Mit dem Kung Fu ist es nicht anders: Einfache und kurze Techniken sind oft effektiver, als sehr komplizierte und übertriebene „Spezialtechniken“, wenn sie auch noch so elegant aussehen. Letztere werden ja auch wieder nur von denjenigen, die in diesem Sport oder dieser Kunst schon Erfahrung haben, verstanden und gewürdigt wird.

Es ist aber auch so, daß der noch so gute Komponist sich leichter tut, wenn er einen speziell für seine Wünsche und Fähigkeiten angepaßten Flügel hat, als wenn er an einem alten, verstimmten Klavier spielen muß. Das heißt aber nicht, daß er da nichts zustande bringt. Ein Redner wird sich mit Mikrophon auch sehr viel leichter tun, den Inhalt seine Rede zu vermitteln, als mit blanker Stimme allein, mit welcher er schließlich auch Erfolge erzielt, vorausgesetzt, seine Rede ist gut. So ist es auch mit dem Kung Fu. Man kann hier mit einer guten und einer etwas weniger guten Startvoraussetzung ebensoviel erreichen, man muß es nur wirklich wollen und daran arbeiten, jedoch ist der Weg eventuell etwas schwieriger. Aber, wo ist das nicht so, daß derjenige mit entsprechendem Talent sich leichter tut, als jemand ohne?

Man muß ja nicht alles perfekt können, sondern man spezialisiert sich im laufe der Zeit auf bestimmte Sachen, wenngleich man versucht seine weniger guten Fähigkeiten zu verbessern. So wird es Leute geben, die sich jedes neue Wort sofort merken können, wenn sie es nur einmal gehört haben, aber dafür die richtige Grammatik erst mühsam zu studieren haben. Oder sie benutzen fast intuitiv die richtigen Wortendungen und die richtige Satzstellung, vergessen aber die Wörter schnell wieder. In der Musikbranche gibt es Menschen, die einen Song nur einmal hören müssen und ihn dann sofort Nachspielen können, allerdings auf ein Problem stoßen, wenn sie selber eine Melodie finden wollen. Andere sind extrem kreativ, haben aber Probleme eine Quarte von einer Quinte zu unterscheiden. Dafür mag es noch zahlreiche Beispiele geben, was ich aber damit sagen will ist folgendes: Im Kung Fu gibt es sehr viele Bereiche. Man muß nicht überall gut sein. Jemand der von Natur aus gut kämpfen kann, hat eventuell Probleme, sich eine Bewegungsform zu merken und jemand der sehr ungelenkig ist, weiß es vielleicht seine Kraft richtig einzusetzen. In all diesen Fällen, muß man eben für gewisse Dinge mehr Zeit aufwenden, als für andere. Es gibt also fast keinen, der für Kung Fu gar kein Talent hat, seine Talente in verschiedenen Bereichen des Kung Fu sind unter Umständen nur etwas ungleich verteilt. Darin liegt eben der Sinn, seine Stärken zu finden und Schwächen zu minimieren.

Nun ist noch zu erwähnen, daß es in der Musik sehr viele Richtungen gibt, wie z.B. Blues, Klassik, Soul, Rock, Country, Heavy Metal, Rap und vieles mehr. Diese Gruppen sind sogar nochmals unterteilt, wie in Speed-, Black-, Death-, Thrashmetal usw. In der Sprache gibt es Gedichte, Novellen, Romane, Kurzgeschichten und anderes. Das könnte man so im etwa mit den verschiedenen Richtungen wie Judo, Karate, Teakwondo, Aikido, Jiu Jiutsu, Kung Fu etc. Vergleichen. Aber all diese Gruppen haben eines gemeinsam: Sie laufen unter einen Oberbegriff. Musik, Sprache und Kampfkunst.

Hier muß man selber entscheiden, was einem gefällt, soll aber dabei bedenken, daß die Grundschritte sehr identisch sind, wie oben bereits erwähnt. Das Wichtigste dabei ist die Eigene Einstellung und der eigene Wille. Daß das nicht gerade einfach ist, sieht man daran, daß im Laufe der Zeit – in allen drei Bereichen – viele nicht durchhalten und aufgeben. Man kann eben doch nicht ohne ausprobieren wissen, ob das ein oder andere das richtige für einen ist. Nach einer kleinen Testphase kann man immer noch entscheiden, ob man es für machbar hält, oder gr nicht erst versuchen will. Die Anfänge sind ja, wie schon erwähnt, identisch und das Eigentliche kommt auf einen selbst an, was man daraus macht. Damit will ich verdeutlichen, daß jeder seinen eigenen Stil „erfinden“, ausarbeiten und perfektionieren kann, vorher aber eben die Anfangs- und Fortgeschrittenenstadien durchlaufen muß. Jeder muß erstmal herausfinden, was einem liegt und was nicht. Dann kann man sich seine eigenen Schwerpunkte setzten.

Somit hört die Kampfkunst nicht mit dem Schwarzen Gürtel auf, wie es viele fälschlicherweise meinen, sondern fängt mit dem Meistergrad erst richtig an. Wer sich also als Ziel den Schwarzgurt setzt, läuft schon Gefahr, beim erreichen von seinem Ziel die Motivation zu verlieren und schlimmstenfalls mit Kung Fu ganz aufzuhören, wie es Erfahrungen aus der Vergangenheit immer wieder bestätigt haben.

Ein weiterer, allerdings etwas schwer vergleichbarer Punkt kommt hinzu. Man kennt bestimmt das Gefühl, bei gewissen Musikstücken, das Empfinden des Komponisten zu fühlen und manchmal, wenn man die Muse dafür hat, glaubt man, auf irgend eine Weise mit ihm verbunden zu sein. Fast, als ob er durch seine Musik mit dir spricht. Ein Dichter beschreibt oft mit einen kurzem Gedicht sein ganzes Leben und man hat wieder das Gefühl, etwas zu durchleben, was er uns mitteilen will, sofern man dies zuläßt. Wie gesagt, es ist schwer vergleichbar, aber wenn man später die spirituellen und philosophischen Zusammenhänge mit Kung Fu zu erkennen beginnt, so öffnen sich einem ganz andere Welten. Ich möchte eigentlich nicht klischeebehaftet sagen, daß man mit dem Kosmos verbunden ist, aber in diese Richtung geht es. Das ist eine Sache, die man (er)leben muß und schlecht darstellbar ist. Man verschmilzt einfach im Laufe der Zeit mit Kung Fu und der formale Schwarzgurt ist hierfür erst der Anfang.

Ist allerdings jemand wirklich in der Materie, so braucht er hierfür keinen Schwarzgurt, sondern ist von der Tätigkeit alleine ausgeglichen und erfüllt. Der Komponist, der Spaß und Freude am komponieren und der Musik hat, verbessert und verwirklicht sich von selbst, genauso wie es ein begeisterter Dichter oder Schriftsteller tut. Das gleiche gilt natürlich auch für jemanden, für den Kung Fu mehr als nur ein Hobby ist.